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Stefan Reeg - 30 Jahre Grünes Band - 30 Jahre Mauerfall: Eine Jubiläumsradtour durch 7 Bundesländer

1.200Km Gesamtlänge – 11.450 Höhenmeter – 7 Bundesländer

Eigentlich bin ich nicht der Typ für lange Radtouren. Immer dieses Gedöns mit dem ganzen Gepäck, dann regnet es noch unterwegs und überhaupt die vielen Steigun...

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Eigentlich bin ich nicht der Typ für lange Radtouren. Immer dieses Gedöns mit dem ganzen Gepäck, dann regnet es noch unterwegs und überhaupt die vielen Steigungen. Ich fahre gerne Rad, doch mein Radius beschränkt sich meistens auf eintägige Erkundungen rund um meine Haustür. Das sind die Eifel und der Westerwald. Vor einiger Zeit ging mir allerdings ein kühner Gedanke durch den Kopf. Mein reguläres Arbeitsleben würde im August 2019 enden und der Übergang in die Phase des „endlosen Urlaubs“ sollte mit etwas Besonderem belohnt werden: eine dreiwöchige Radtour.

Das Grüne Band oder das Ende des Eisernen Vorhangs

Der Plan zu einer längeren Radreise durch Deutschland entlang des Grünen Bands nahm mehr und mehr Gestalt an.
Ein paar Fakten: das Grüne Band zieht sich über 1.400 Km entlang der ehemaligen Grenze zwischen unseren beiden Deutschländern, der Zonengrenze, entlang des Eisernen Vorhangs, der die Welt bis 1989 scharf in Ost und West teilte. Die Luftlinie zwischen Hof in Bayern und Travemünde an der Ostsee beträgt noch nicht mal 500Km, doch der Grenzverlauf mäandert vor und zurück durch Deutschland, so dass am Ende über 1.400Km rauskommen.

Grünes Band deshalb, weil einige Umweltaktivisten im Jahre 1989 erkannt hatten, wie wertvoll dieser nord-südlich verlaufende Streifen mehr oder weniger unberührter Natur für ein durchgehendes Biotop und Naturschutzgebiet in Deutschland ist. Das griffige Motto fürs Grüne Band lautet daher: vom Todesstreifen zur Lebenslinie. Man darf auch nicht vergessen, dass zwischen 1956 und 1989 mindestens 320 Menschen von den NVA-Grenzschützern beim Fluchtversuch über den „antifaschistischen Schutzwall“ erschossen wurden.

Darum ist diese Radreise nicht nur eine Fahrt durch gesunde, unverbaute, abwechslungsreiche Natur, sondern man wird immer wieder an die Grenze, an das Leid oder die Absonderlichkeiten dieser Nahtstelle zwischen Ost und West erinnert. Es ist eine Zeitreise durch die jüngere deutsche Geschichte.

1.200Km Gesamtlänge – 11.450 Höhenmeter – 7 Bundesländer

Die konkrete Tour-Planung begann Anfang 2019 und herausgekommen sind: 20 Etappen mit 1.200Km Gesamtstrecke und 11.450 Höhenmetern durch 7 Bundesländer, viele interessante Gespräche und drei Arztbesuche*) (siehe medizinische Anekdote am Ende).

Gestartet bin ich in der zweiten Augusthälfte 2019 am südlichsten Zipfel des Grünen Bands. Beim Dreiländereck stoßen Bayern, Sachsen und die Tschechische Republik aneinander. Für die kommenden 200Km geht es munter hoch und runter durch das Vogtland. Es ist sehr einsam, steile Abfahrten und Aufstiege wechseln sich ab, teilweise wirklich abenteuerlich, vor allem, wenn man den „Kolonnenweg“ nimmt. Der Kolonnenweg war quasi die Rennstrecke der NVA-Truppen unmittelbar entlang der Grenze – und er verfolgt einen während der gesamten Tour. Das geschieht mal geplant, mal überraschend, wenn Komoot z.B. wieder einen tollen Einfall hat. Der Kolonnen- oder Plattenweg ist ein zweireihiger Streifen aus Betonplatten, die vermutlich auch noch den 3. Weltkrieg (was wir nicht hoffen) überleben würden. Das Gemeine an diesen Betonformteilen ist die Lochstruktur. Egal wie man fährt, man gerät über kurz oder lang in diese Löcher und es macht rattamrattamrattam… Außerdem schüttelt es einen durch Mark und Bein.

Anschließend geht die Fahrt durch den Thüringer Wald, den Frankenwald und die Rhön weiter, dann zwei, drei Etappen gemütlich parallel zur Werra, bis man wieder etwas in die Pedale steigen muss, um das Eichsfeld zu erklimmen. Das ist jedoch nur ein kleiner Vorgeschmack auf die beiden Harzer Etappen, bei denen auch der Brocken bezwungen werden kann. Von den Ausläufern des Harzes geht’s praktisch nur noch bergab bis zur Ostsee. Es sind dann noch rund 400Km, die sich durch Niedersachsen und die Altmark in Sachsen-Anhalt den Weg zur Elbe suchen. Dort geht es auf dem vielbefahrenen Elberadweg bis Lauenburg, um hier nördlich abzubiegen und die Route nach Lübeck bzw. Travemünde als Zielpunkt zu nehmen.

Wenn ich die Tour in einem Satz zusammenfassen müsste, würde ich folgendes sagen: Eine extrem abwechslungsreiche Strecke durch Deutschland, viel unverschandelte Natur, dichter politischer Bezug und spannende Gespräche über Positives und Defizite in Deutschland – ein recht langer Satz, aber immerhin nur ein Satz ;-)

Highlights

Für mich gab es u.a. diese Höhepunkte auf der Tour:

- Die vielen Begegnungen mit Menschen aus Ost und West; häufig ging um die Befindlichkeiten der Menschen und die Frage, wie und was man aus den Fehlern der vergangenen 30 Jahre für die kommenden 30 Jahre lernen kann

- Das unmittelbare Naturerlebnis im Thüringer Wald, im Harz und selbst auf dem Elberadweg

- Das sind meine Empfehlungen für eine Tour übers Grüne Band (von Süd nach Nord):

  • Mödlareuth oder das Klein-Berlin (wegen der Mauer durch den Ort)
  • Bauhaus Hotel in Probstzella (in den 1920er Jahren vom bekannten Bauhaus-Architekten Arndt geplant und gebaut)
  • Skulpturenpark Deutsche Einheit in Eussenhausen (Kunst an der Goldenen Brücke)
  • Point Alpha (Beobachtungcamp der US Armee an der Zonengrenze)
  • Werratal (Vacha, Monte Kali und der Ausgangspunkt des Rennsteigs)
  • Grünes Band bei Volkerode (Viel unberührte Natur)
  • Grenzmuseum Teistungen (Tolle Ausstellung mit viel „Grenz-Flair“)
  • Rangerstation Nationalpark Harz Schierke (Hier werden der NP Harz und die Baumschäden sehr verständlich erklärt)
  • Flussauen an der Elbe (Natur, Wasser und Vögel-Beobachtungen)
  • Arendsee (siehe Elbe)
  • Ostseestrand auf dem Priwall (gegenüber von Travemünde)

Ich habe die Tour in meinem Reiseblog https://mein-gruenes-band.de detailliert beschrieben. Dort findet ihr ebenfalls alle Etappen als Komoot-Navigation plus Übernachtungstipps und anderen Links mit hilfreichen Infos für die Etappen.

Allgemeine Hinweise

Vorneweg bemerkt: es gibt keinen durchgehenden Radweg „Grünes Band“, obwohl es das deutsche Teilstück des EV 13 – des Iron Curtain Trails – darstellt. Der EuroVelo 13 Radweg ist 7.500Km lang und zieht sich von Nord-Norwegen bis zum Schwarzen Meer. In Deutschland verläuft er identisch mit dem Grünen Band, allerdings gibt es weder DEN durchgehenden Radweg noch eine durchgehende Ausschilderung. Man kann sich gut am ehemaligen Grenzverlauf orientieren, zwischendurch sollte man jedoch auch praktikablere Streckenabschnitte einbauen. Mit Komoot gelingt das recht gut.

2/3 der Gesamtstrecke zwischen dem Ausgangspunkt im Süden und der Niedersächsischen Tiefebene sind anspruchsvoll: Kondition und fahrerisches Können sind hier gefragt. Mit kleinen Ausnahmen (z.B. die Flussetappen an der Werra) ist das keine lockere Familientour, da Kinder wegen der vielen Höhenmetern schnell überfordert werden – und das gilt für unsportliche Mamas und Papas genauso. Je weiter südlich, umso schwieriger wird manches Mal die Unterkunftssuche. Ich hatte positive Erfahrungen mit frühen Buchungen gemacht. Von Helmstedt bis zur Ostsee ändert sich das Bild, da kann auch die ganze Familie radeln, vor allem, wenn man sich Zeit für die Etappen und die Besichtigungen lässt. Hier ist die touristische Infrastruktur teilweise auch besser ausgebaut.

Man muss nicht unbedingt weit weg radeln, um etwas Besonderes zu erleben. Ich habe in den drei Wochen viele unbekannte Schätzchen in Deutschland ausfindig gemacht.

*) Medizinische Anekdote: Drei Ärzte für Aschenbrödel?

Kurze Anekdote zu den am Anfang genannten drei Arztbesuchen: Auf einer der Rhön-Etappen kurz vor dem Örtchen Fladungen hat es mich auf einer abschüssigen Schotterstrecke ordentlich auf die Nase gelegt. Das Vorderrad stand erst ein bissi quer, dann abrupt horizontal. Ich bremste mit Oberschenkel und Ellenbogen – bis zum Stillstand. Au weia, der Schock kam erst ein paar Momente später, denn zunächst schaute ich nach dem Rad, ob noch alles funktionierte. Dann sah ich mein eigenes Blut vom Arm und vom Bein „tropfen“ (ich lasse es bei: tropfen – vielleicht gibt es sensible Gemüter in der Leserschaft).  Ich reinigte die Wunden mit dem Inhalt meines kleinen Erste-Hilfe-Packs, mehr schlecht als recht und musste durchschnaufen, weil mir der Kreislauf wegging. Glück im Unglück – nach 20 Minuten war ich in Fladungen, fand überraschend einen Arzt, der mich medizinisch und mit guten Ratschlägen versorgte. Die folgende Nacht war heftig und nur die guten Ibu 600 haben mir etwas Schlaf gebracht. Am kommenden Morgen habe ich einen anderen Arzt nachschauen lassen – alles so weit okay. Arztbesuch Nr. 3 stand – ungeplant – in der Ostsee-Ferienwoche an, weil die Schmerzen am Ellenbogen immer doller statt besser wurden. Naja, seht selber, dieses Steinchen hatte mir der Arzt nach über zwei Wochen aus dem Arm geprokelt. Damit waren auch schnell die Schmerzen erklärt bzw. in den kommenden Tagen verschwunden.

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Über Stefan Reeg:

Ich heiße Stefan und bin gerade im Übergang vom Berufsleben zur endless vacation - Phase. Wenn die Natur unverfälscht und gesund ist, bin ich sehr gerne im Freien unterwegs. Vor ein paar Jahren konnte ich meine Frau vom Zelten überzeugen (jedoch mit einem Zelt-Anhänger von 3Dog), weil das Naturerlebnis viel intensiver ist, damit auch Wind und Wetter spürbarer sind. Ich fahre viel Fahrrad, z.B. früher regelmäßig zwischen Februar und November knapp 60Km am Tag, um das Auto für die Pendelei ins Büro stehen zu lassen und etwas für meine Kondition zu tun. Dennoch war ich kein Fan von längeren Radtouren – zu viel Gepäck, zu nass bei Regen, zu steil die Berge. Ich bin eher der Typ für eintägige Ausflüge, die bei mir zuhause abends möglichst mit einer ausgedehnten Duschzeremonie enden. Für den Übergang zwischen Berufsleben und Pensionisten-Dasein hatte ich mir jedoch etwas Besonderes überlegt. Zunächst wollte ich das Grüne Band – den ehemaligen Grenzstreifen zwischen Ost und West in Deutschland – abwandern. Dann habe ich mich jedoch für eine gut dreiwöchige Radtour über 1.200Km entschieden und diese in meinem Reiseblog beschrieben. 2019 ist ein wichtiges Jubiläumsjahr: 30 Jahre Mauerfall – nach der friedlichen Revolution in der DDR. Und ebenso jährt sich die Initiative zum Grünen Band ebenfalls zum 30. Mal – von Ossis und Wessis gemeinsam ins Leben gerufen. Das war der Auslöser für mein Vorhaben. Ihr könnt einen flott geschriebenen Blog zum Radfahren und Leben am Grünen Band erwarten – allerdings werde ich nicht in die Riege der auf diesem Planeten mäandernden Reiseblogger eintreten. Nur kommendes Jahr wird es voraussichtlich noch eine Fortsetzung als „Grünes Band 2.0“ geben. Ich freue mich auf Hinweise und Kommentare dazu. Gerne auch an mich persönlich per E-Mail.

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Stefan Reeg

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