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Nord Friesen Mädchen - Baltic Sea Circle Rallye - Etappe 3

Baltic Sea Circle Rallye 2019 - Etappe 3

Wir sind Anne und Esther, die Nordfriesenmädchen. Wir lieben das Abenteuer, das Outdoorleben, die wilde Natur, den Kick, die Roadtrips. Und wir lieben es all das gemeinsa...

Bericht

Details

Ein großer Teil unseres Abenteuers liegt bereits hinter uns. Doch nun folgen völlig andere Pfade. Fremde Sprachen, fremde Schrift und damit Begegnungen der etwas anderen Art.

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RUSSLAND

Die Grenze. Wir machten uns auf mehrere Stunden Wartezeit gefasst, da man bei der Ein- und Ausreise nach Russland nicht nur sich selbst mit einem 130€ Visum über die Grenze bringen muss, sondern auch sein Auto gesondert importiert, und bei der Ausreise wieder exportiert. Entgegen vieler Gerüchte waren die Menschen an diesem Grenzübergang aber recht freundlich. Und da wir eh eine Affinität für den Army-Lifestyle haben, haben wir uns die Zeit mit dem Bestaunen der Uniformen und der autoritären Soldaten vertrieben. Nach gerade mal drei Stunden wurden uns dann unsere Papiere in die Hand gedrückt. Alle vor uns wurden von einem uniformierten Mann hinausbegleitet. Wir wurden einfach verabschiedet. Andere Rallyeteilnehmer, die das ebenfalls mitbekommen hatten, schauten uns genauso verdutzt und unsicher an, wie wir uns fühlten. Einer sagte mit einem Lachen: „Lauft!“. Wir haben ebenso gelacht und verließen das Gebäude. An unserem Auto wurden wir dann aber doch noch einmal gebeten, alle Türen zu öffnen, damit wir auch sicher nichts mit hereinschmuggelten. Ein Glück war Armadillo schon zu so einem fahrendem Chaos auf vier Rädern verkommen, dass die Grenzkontroll-Seniora gar keine Lust hatte, uns weiter zu durchsuchen.

Wir fuhren also hinein ins raue und unbekannte Russland. Navigation war hier nicht mehr nötig. Es gab nämlich nur eine einzige Straße, die nach Murmansk, unser nächstes Rallye-Ziel, führte. Kurz vor Murmansk hielten wir an einem kleinen Straßenstand, hinter dem zwei Babuschkas selbstgemachte russische Spezialitäten verkauften. Hier haben wir das erste Mal wieder „Leben“ nach der Grenze gesehen und ersehnten uns den ersten Kontakt mit der russischen Kultur, die uns gleich tausend Glücksgefühle bescherten. Die alten Damen waren zuckersüß und wollten, dass wir alles probieren. Was wir da genau aßen, wissen wir nicht mehr. Sie redeten ununterbrochen auf Russisch und wir versuchten uns irgendwie mit Händen und Füßen zu verständigen. Alle lachten und es war ein schönes „добро пожаловать“ (dobro pozhalovat) – „Willkommen“ in Russland.

Nach der ersten schönen Berührung mit der russischen Kultur, folgte auch gleich eine, die uns immer noch das Blut im Körper gefrieren lässt. Wir fanden jemanden an einer Tankstelle, der minimal Englisch sprechen konnte. Diese Sprache existiert hier einfach nicht. Es war ein etwa Mitte 40-jähriger Mann mit einem kleinen Hund. Erst einmal vertrauenserweckend. Er fragte uns, ob wir Russland (oder Russen) mögen. Wir bejahten das selbstverständlich. Aber eigentlich haben wir ihn nur um Hilfe gebeten, um eine russische Sim Karte zu kaufen. Alles andere wäre immens teuer geworden. Er half uns. Allerdings versuchte er uns gleichzeitig mit seinem Sohn zu verkuppeln, rief ihn an, lies ihn kommen und wollte uns dann nicht wirklich gehen lassen. Wir verabschiedeten uns, indem wir versuchten zu erklären, dass wir noch nach St. Petersburg fahren müssten (Fahrtzeit ca. 24 Stunden). Er ließ uns zwar fahren, verfolgte uns aber mehrere Kilometer, bremste uns aus, versuchte uns von der Straße zu drängen, stieg an jeder Ampel aus und kam wieder an unser Auto. Anfänglich mussten wir noch über diese russische Ruppigkeit lächeln, aber nach mehreren Minuten wurde uns immer unwohler und wir versuchten ihm zu entkommen. Da den Russen Verkehrsregeln ziemlich egal sind, war das leider nicht so einfach. Ein Glück ist Anne eine begnadete Autofahrerin und wir schafften es irgendwann links abzubiegen und so kompliziert durch die Gassen zu fahren, dass er uns nicht mehr fand. Erleichterung und Herzklopfen. Für uns stand fest: Wir verlassen heute noch Murmansk!

Es war schon abends, doch die Sonne ging auch hier nicht unter. Deswegen entschieden wir uns dafür, so lange wie möglich Richtung Süden zu fahren. Unser nächstes Ziel war St. Petersburg. Es führte genau eine große Straße von Murmansk nach St. Petersburg und wir haben es trotzdem geschafft, uns zu verfahren. Und zwar direkt in ein russisches Militärgebiet. Sackgasse. Erst standen nur zwei Soldaten vor uns. Doch beim Erklären, dass wir uns nur verfahren hätten, kamen immer mehr und mehr Soldaten aus der Kaserne und schauten uns unwirklich an. Möglicherweise lag es daran, dass wir uns an die russische Kultur anpassen wollten und beide komplett in Camouflage-Kleidung in unserem vollgeklebten Van saßen. Am Ende ging alles gut und die Jungs der Armee mussten sogar etwas schmunzeln.

Der Norden von Russland war genauso atemberaubend schön wie der Norden Norwegens. Wir fuhren die Berge hoch und runter, während sich am Horizont schneebedeckte Hügel reihten. Die Natur war so unberührt, mit der Ausnahme von einem gigantischen Kohlekraftwerk, das sich durch ein ganzes Tal zog. Wenn es einen Ort gäbe, an dem eine Zombieapokalypse ausbrechen könnte, dann ziemlich sicher hier. Auch für jegliche Art von Horrorfilmen bestens geeignet. Irgendwann war es 4 Uhr morgens. Die zehn Red-Bulls konnten uns auch nicht mehr weiterhelfen, unsere Äuglein offen zu halten. So beschlossen wir am Straßenrand hinter einem kleinen Steinhügel zu übernachten. Ja, eventuell riskant und ein bisschen unsicher. Aber irgendwie auch ein bisschen witzig.

Am nächsten Morgen konnten wir gleich die nächste Challenge aus dem Roadbook erledigen. Diese erforderte, eine Ziege an das Lenkrad deines Rallye-Gefährts zu setzen. Als wir durch ein kleines Dorf fuhren, sahen wir beide im Augenwinkel einen kleinen Weg und etwa 20 Ziegen. Mittendrin eine Babuschka, behangen mit Tüchern, die wilde Muster zierten. Vollbremsung und Rückwärtsgang. Die liebe Dame schaute uns äußerst befremdlich an und wir versuchten ihr wieder einmal mit Händen und Füßen zu erklären, dass wir gerne eine Ziege von ihr ausleihen würden. Dabei merkten wir, dass sie die kleine Herde mit großen und kleinen Ziegen vollkommen im Griff hatte. Sie hörten aufs Wort! Als sie langsam merkte, dass wir nur zwei harmlose Blondinen aus Deutschland waren, die irgendwas Komisches mit diesem Auto und einer ihrer Ziegen vorhatten, musste sie mehr und mehr schmunzeln. So richtig wusste sie nicht, was wir vorhatten, doch sie hob eine kleine Ziege an und setzte sie uns in den Arm. Ab zum Auto, die Babuschka lachte, Foto gemacht, Ziege erlöst und herzlichst bedankt, fuhren wir weiter gen Süden. Immer noch auf derselben holprigen Straße, voller Schlaglöcher und Baustellen, auf der wir aus Murmansk heraus gefahren sind.

Je südlicher wir kamen, desto zivilisierter wurde es auch. Hier trauten wir uns auch mal wieder auf Seitenstraßen, um die Gegend zu erkunden. Kurz vor St. Petersburg fuhren wir in einen wunderschönen rosaroten Sonnenuntergang hinein, der eine imposante Kirche ins Abendlicht hüllte. Wir machten einen kleinen Spaziergang um die Kirche herum und sahen uns den Friedhof an. Die Russen schmücken ihre Grabmäler mit vielen bunten, wenn auch unechten, Blumen, wodurch alles sehr lebhaft und munter wirkt. Diese kurzen Momente machten die Rallye immer wieder so kostbar.

SANKT PETERSBURG (Russland)

Für St. Petersburg verabredeten wir uns wieder mit unserer zweiten Familie, die Garage Marienthal Männer. Im Konvoi fuhren wir das erste Mal seit Finnland wieder durch eine dunkle Nacht.
St. Petersburg leuchtete uns mit tausenden Lichtern den Weg zu unserer Unterkunft direkt neben der Blutskirche. Jacob hatte uns eine Unterkunft für acht Personen organisiert, die zwar nicht zentraler hätte sein können, aber auch nicht viel kleiner. Man konnte sich zwischen den weinroten Vorhängen und goldenen Bilderrahmen gerade einmal im Kreis drehen. Dennoch waren wir froh, wieder unter vertrauten Menschen zu sein. Und um ganz ehrlich zu sein, genossen wir auch mal wieder diese laue Stadtluft im Sommer.

Es war zwei Uhr nachts und wir freuten uns auf den nächsten Tag - der einzige, in 16 Tagen, an dem wir kein Auto fahren würden.

Wie schliefen natürlich wieder viel zu lange. Der Körper holt sich wohl das, was er braucht. Dennoch waren wir ganz versessen darauf, die Stadt von der Romanow-Zarenfamilie zu erkunden. Einer unserer Lieblingstrickfilme ist „Anastasia“. Die Geschichte des kleinen Mädchens, das als Waise aufwächst, und als junge Erwachsene ihre wahren Wurzeln findet, denn sie ist die Zarentochter der Romanows. Nun ja, eigentlich war das alles ganz anders, aber wir wollten den kleinen Prinzessinnentraum nicht aufgeben und stolzierten los. Entlang der großen Sehenswürdigkeiten und durch jeden zweiten Souvenirladen, fanden wir ein weiteres Rallyeteam, die so wie wir gerne eine Bootsfahrt durch die Grachten der Stadt machen wollten. Wir deckten uns mit den regionalen Biersorten ein, schließlich mussten wir heute kein Auto mehr fahren und wollten das in vollen Zügen genießen, und bestiegen ein Boot. Leider war die englischsprachige Tour gerade abgelegt. So saßen wir also ohne Bier, denn das war dort verboten, zwei Stunden auf einem Boot und lauschten einer angeregten russischen Dame aus veralteten Lautsprechern. Unter den wachsamen Augen eines etwa 17-jährigen selbsternannten Super Bosses, schafften wir es dennoch, unsere Biere während der Fahrt zu verköstigen. Sowieso fanden wir es seltsam, dass so etwas auch in Russland verboten sei. Wir dachten es wäre generell verboten nüchtern zu sein. Das wollen wir aber nicht allzu sehr vertiefen. Dennoch hatten wir viel Spaß!

Weiter auf den Wurzeln von unserer gemeinsamen Lieblingsprinzessin Anastasia und den Residenzen der Romanows bewegten wir uns zu einem der prunkvollsten Gebäude in St. Petersburg: dem Eremitage Palast an der Newa. Heute ist er eines der größten und bedeutendsten Kunstmuseen der Welt. Die Fassade strahlt in einem königlichen türkis, die weißen Säulen säumen sich einmal um das mächtige Gebäude und die Ornamente an den Fenstern und Verstrebungen glitzern im Sonnenlicht. Verträumt liefen wir über den großen Platz vor dem Palast und genossen die Wärme und den Anblick. Bis wir einen Verkleidungsstand vor dem Palast erblickten und ehe wir uns versahen, in prachtvolle royale Gewänder gekleidet wurden. Der Prinzessinnentraum wurde wahr. Es dauerte keine Sekunde, da waren wir beide eins mit unseren feudalen Kleidern und schreiteten elegant vor dem Palast auf und ab. Es dauerte nicht lange, bis uns die ersten Rallye-Freunde nach zweimaligem hinblicken und ungläubigen Reaktionen anlachten. Ein wundervoller Moment.

Den Abend verbrachten wir mit anderen Rallyeteams bei traditionell russischem Essen. Wir verköstigten Soljanka, Pelmeni, Blini und zum Abschluss noch verschiedenste Kuchensorten. Abgerundet wurde der Schmaus selbstverständlich nach russischer Manier mit Wodka! Wir verbrachten den Abend noch in einer Karaoke Bar, in der sich etwa fünf weitere Teams trafen. Hier schlossen einige auch Freundschaft mit einem Russen, als dieser in einem Leopardenmantel voller Inbrunst „Du Hast“ von Rammstein ins Mikrofon lärmte.

Am nächsten Tag sollten wir Russland wieder verlassen. Wir verabschiedeten uns mit einer letzten Challenge aus dem Roadbook: Kaufe Kartoffeln am Straßenrand und bereite mit einer russischen Familie ein Essen vor, das ihr im Anschluss gemeinsam verspeist. Nichts leichter als das, wenn doch ein jeder Englisch spricht und man sich so gerne in fremde Küchen einlädt. Tatsächlich fanden wir kurz vor der Grenze Estlands einen einsamen Eimer voller Kartoffeln am Straßenrand. Wir hielten und suchten den Besitzer, um einige zu kaufen. Wieder begrüßte uns eine zuckersüße alte Babuschka, die regelrechte Romane auf Russisch herunterrasselte. Wir merkten aber, dass man sich mit Gestik und Mimik recht gut verständigen konnte. So versuchten wir ihr zu erklären, dass wir gerne mit ihr kochen würden. Ein bisschen verwirrt und durchgehend am Kichern, lud sie uns in ihr Haus, wo ihre Enkelkinder gerade über den Sommer zu Besuch waren. Dank moderner Medien konnten wir uns gegenseitig auch einige Dinge übersetzen, um wenigstens ein bisschen erklären zu können, warum wir so etwas Skurriles hier gerade taten. So fanden wir auch heraus, dass die Kartoffeln direkt vom Feld hinter dem Haus kamen und ihre 22-jährige Enkelin gerade geheiratet hatte. Die russische Familie war sehr gastfreundlich und liebevoll, ein einzigartiges Erlebnis und wir hatten unser Mittagessen im Bauch. Ab nach Estland!

BALTISCHE STAATEN – ESTLAND

Moment. Nicht so schnell. Erstmal standen wir nämlich fünf Stunden vor der Grenze. Wir hatten schon zwei, drei Stunden einkalkuliert, aber nicht fünf! So machten wir uns daran, das Auto ein bisschen aufzuräumen und uns über Russen zu ärgern, die sich immer wieder vordrängelten. Wieder mussten wir nicht nur uns, sondern auch unser Auto exportieren. Ein Glück hatten die Grenzleute aber auch wieder keine Lust unser kleines Armadillo-Chaos zu durchsuchen. Dennoch kamen wir dadurch etwa 6 Stunden zu spät zu dem zweiten großen Treffen aller Baltic Sea Circle Rallye Fahrer in Raudzilla, was die Stimmung anfänglich schmälerte.

Raudzilla liegt in Mitten eines Waldes in der Nähe von Tallinn. Auf dem Gelände türmen sich mehrere große Tiki ähnliche Zelte. Eins für die Party, zwei für Saunen, eins für ein kuscheliges Feuer und ein halbes für den vom Feuer angetriebenen Hot Tub. Die hölzernen Zelte lagen an einem Fluss, der uns nach den Saunagängen ordentlich abkühlen sollte. Geschafft von der Fahrt und der zweiten Grenzerfahrung holten wir uns Drinks und tanzten erst einmal den Frust weg. Danach folgte eine endlose Aneinanderreihung von Saunagängen, Bachsprüngen und Hot Tub Einheiten bis sieben Uhr morgens.

Da unsere Nacht so lang wurde, waren wir auch mit die letzten, die das Gelände wieder verlassen. Mit einem leichten Kater, aber natürlich wieder vollkommen fahrtüchtig, machten wir uns auf den Weg in die kleine Stadt Tallinn. Die Stadtmauern von Tallinn erinnerten an das Mittelalter, so auch die kleinen verwinkelten Gassen, durch die wir über das Kopfsteinpflaster stolperten. Wir waren verzückt und wären gerne noch etwas geblieben. Doch die lange Nacht zollte ihren Tribut und wir mussten uns etwas sputen.

Die Challenge des heutigen Tages war das Finden eines Sees, in dem einst eine Gefängnisinsel lag. Der See befand sich an einem großen Sandsteinberg. Das Gestein in Weiß und Beige formte wunderschöne wellenartige Muster und der Sand war so hell, dass das Wasser türkisblau in der Sonne glitzerte. Die Reste des Gefängnisses ragten als dunkelgraue Mauern aus dem Wasser empor. Im Hintergrund lief entspannte Musik von der Beach Bar. Voller Euphorie sprangen wir in das kühle Nass und erfrischten uns im klaren kalten Wasser. Jetzt waren wir wieder wach und konnten uns auf unsere heutige Etappe nach Riga, der Hauptstadt von Lettland vorbereiten.

BALTISCHE STAATEN - LETTLAND UND LITAUEN

Die Natur veränderte sich nicht mehr allzu viel, und der Übergang der Grenzen war eigentlich nicht zu spüren. Im Sonnenuntergang fuhren wir durch Riga und suchten unsere heutige Unterkunft mit einem befreundeten Rallyeteam, mitten in der Altstadt. Überall in Riga konnte man die Liebe zum Rock‘n‘Roll hören, sehen und spüren. Diner, Retro Bars und Rockabilly Läden säumten sich durch die kleinen Gassen. Obwohl uns die letzte Nacht von Raudzilla noch in den Knochen lag, konnten wir nicht widerstehen das Nachtleben von Riga zu erkunden. Wir begannen bei einer Elvis Presley Memorial Live Band, gönnten uns ein paar Drinks und schwangen das Tanzbein. Der Abend endete in einem Club, in dem der DJ aussah wie Channing Tatum. Wir tanzten zu den rhythmischen Beats und begutachteten den kulturellen Unterschied der Nachtmenschen in den baltischen Staaten.

Auf dem Heimweg entlang großer Obelisken und prächtigen Kirchen genossen wir einen der schönsten Sonnenaufgänge, den wir beide jemals gesehen haben. Der gesamte Himmel hüllte sich in ein pinkes Farbenspiel und die sanfte Wolkendecke brach die Strahlen in weitere tausend Farbtöne. Es war unwirklich und einzigartig. Ab ins Bett - die letzten Kilometer warteten auf uns.

Unsere heutige Etappe führte uns in 16 Stunden durch vier Länder. Wir verließen Lettland und fuhren über die Grenze nach Litauen. Für die Challenge des Tages fuhren wir zu den sagenumwobenen Hills of Crosses, ein katholisch geprägter Wallfahrtsort nördlich von Šiauliai. Es ist ein Berg, der von tausenden unterschiedlichsten Kreuzen bestückt ist. Auch wir sollten die Ehre haben, unser eigenes Nordfriesenmädchen Kreuz zu platzieren, und so auch alle anderen 280 Teams der Rallye, seit neun Jahren. Unter der heißen Mittagssonne suchten wir uns ein kleines Plätzchen, auf dem sich bereits um die 4.523 Kreuze erheben.

Da uns die Natur im Innenland der baltischen Staaten langweilte, beschlossen wir kurzerhand die kurische Nehrung entlang zu fahren und einen Abstecher in die russische Oblast Kaliningrad zu machen. Wir vermissten das Meer und die überwältigende Natur aus Skandinavien und machten damit den größten Umweg, den man hätte machen können. Die Natur auf der kurischen Nehrung hielt, was wir uns erhofften. Die 98 Kilometer lange Halbinsel führte uns durch urwaldartige Wälder und entlang weiter Strände, die uns an unseren Heimatort Sylt erinnerten. Die Grenze war hier relativ harmlos und sogar die berühmten Füchse am Übergang haben sich kurz gezeigt.

KALININGRAD (Russland)

Kaum ein weiteres Mal in Russland, überkam uns ein melancholisches Gefühl der Trauer. Wir spürten und wussten, dass wir schon nahezu am Ende unseres Abenteuers waren und wollten einfach nicht, dass es endete. Es hing wie dicke Wolken über uns und in Armadillo – diese einnehmende Trauer. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt schon so viele unvergessliche Momente gesammelt, dass es uns schwer viel zu glauben, bald wieder im Alltag zu sein. Uns wurde bewusst, wie sehr uns die Rallye verändert hatte und wie viel sich in unserem Leben durch diese Erlebnisse verändern würde. Das Gefühl erdrückte uns beide so sehr, dass wir einfach das traurigste Lied unserer Playlists anmachten und ein paar Minuten die Tränen liefen lassen.

Unsere kleine Trauerfahrt wurde schnell unterbrochen, als wir mal wieder in ein militärisches Gebiet fuhren und ein weiteres Mal russische Soldaten vor uns standen. Dieser Moment hat uns so erheitert, dass die Kullertränen bald zu Tränen vor Lachen wurden.

Auf der Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht, fanden wir einen kleinen Hafen mit Strand und Parkplatz, an dem wir kurz verweilten, um den Sonnenuntergang zu genießen. Bei knurrenden Mägen erblickten wir neben uns einen mexikanischen Food Truck, dessen Besitzer auch Russias Next Topmodel hätte sein können. Immerhin für diesen Anblick und unseren ersten und letzten mexikanischen Hot Dog in Russland hat sich Kaliningrad also irgendwie doch gelohnt. Da wir aber keinen geeigneten Wildcamping Spot fanden, und diese Art der Übernachtung in Russland auch nicht legal war, entschlossen wir uns, weiter nach Polen zu fahren. Es war schon Mitternacht und der Grenzübergang sollte ja bei so einer Tageszeit nur halb so schlimm sein. Dachten wir. Tatsächlich war diese Grenzerfahrung die Schlimmste von allen. Ganze vier Stunden verbrachten wir größtenteils stehend eingereiht mit vielen anderen Autos, allerdings keinem anderen Rallyeteam. Die Kontrolle von Russland nach Polen war die Strengste. Hier verzog die Beamtin keine Miene, als wir Armadillo öffneten. Sie durchsuchte alles. Auch das Dachzelt mussten wir öffnen. Wir waren müde und genervt und der Kummer über das baldige Ende war immer noch zu spüren.

POLEN

In Polen suchten wir uns in völliger Dunkelheit einen Wildcamping Spot an einem See in der Nähe der Grenze. Wir waren völlig kaputt und fertig. Glücklicherweise parkte hier endlich mal wieder ein weiteres Rallyeteam und wir platzierten unser Gefährt gleich daneben. So fühlte es sich wenigstens ein bisschen „wie zu Hause“ an. Am Morgen verflog die melancholische Stimmung, als wir unsere tägliche Dusche in dem See neben unserem Schlafplatz nahmen. Ein paar polnische Familien taten uns gleich, neben uns ein paar Angler. Irgendwie idyllisch. Der letzte Rallyetag vor der Heimfahrt brach also an und wir fuhren an der Ostsee entlang Richtung Deutschland.

Wir nutzten die letzten Kilometer, um die übrigen Challenges aus dem Roadbook zu erledigen. Unter anderem suchten wir ein Pferd, das unser Auto ziehen konnte. Seltsamerweise waren die Wiesen und Felder absolut leer. Als wir die Hoffnung schon fast aufgaben, in Polen ein Pferd zu finden, fuhren wir an einem großen Hof vorbei, auf dem wir zwei Vierbeiner erblickten. Mit Händen und Füßen versuchten wir der Hofdame zu erklären, dass wir mal kurz ihr Pferd bräuchten, bis sie uns auf Deutsch antwortete, dass sie ihren Sohn holen würde. Ok, wir waren wirklich schon fast in Deutschland. Der junge Mann war echt belustigt über unser Vorhaben und staunte auch nicht schlecht, als wir mit Armadillo auf ihren Hof fuhren. Er holte ein kleines Pferd von der Koppel und stellte es vor unser Auto. Leine dran, Foto geschossen, lieb bedankt und noch einen Aufkleber von seiner eigenen Motorcross Werkstatt auf Armadillo platziert, fuhren wir zu unserem letzten Campingspot - ein Campingplatz, auf dem sich andere Rallyeteilnehmer trafen, um den letzten Abend gemeinsam zu verbringen.

Alle waren glücklich und traurig zugleich. Es war erleichternd zu wissen, dass sie unser Gefühl teilten und wir erzählten uns von den schönsten und aufregendsten Erlebnissen während der 16-tägigen Rallye um die Ostsee. Bei Kerzenschein und Abendessen ließen wir den Abend ausklingen.

DEUTSCHLAND

Wir verließen Polen und rollten in unser Heimatland. Wir schwebten in einem Gefühl zwischen Wehmut und Vorfreude, so wollten wir doch einfach nicht wieder hier sein. Wir versuchten uns bei Laune zu halten und ein kleiner Teil in uns freute sich auch auf die Zieleinfahrt und darauf, Freunde und Familie wieder zu sehen.

Nach etwa sechs Stunden über deutsche Autobahnen bei elendigen 30 Grad (wir hatten vergessen, dass es in Deutschland im Sommer auch heiß werden konnte im Gegensatz zu unseren letzten 2 Wochen auf Tour!) fuhren wir in unsere Wahlheimat Hamburg ein. Wir sahen die Elbe, den Michel, wir waren wieder zu Hause. Irgendwie unwirklich schon wieder am Ziel angekommen zu sein. Dadurch, dass wir auf der Rallye so viele neue Eindrücke sammeln durften, vergingen die 16 Tage echt langsam und wir fühlten uns, als wären wir 16 Wochen auf Reisen gewesen. Aber wenn man dann wieder im Heimathafen einrollt, spürt man, dass es doch auch irgendwie viel zu schnell vorbei ging.

Das Adrenalin stieg an, als wir die ersten Leute vom Veranstalter am Parkplatz auf die Teams warten sahen. Wir rollten über die Ziellinie, hatten es geschafft. Als beste Freundinnen, als Frauenteam. Eben das geschafft, was uns viele nicht zugetraut hätten, sogar Familie und engste Freunde hatten ihre Zweifel. Aber wir hatten es geschafft und waren voller Endorphine, voller innerer Zufriedenheit, voller Stolz! 16 Tage zu zweit in einem Auto zu wohnen, nur mit dem nötigsten an Klamotten und Nahrungsmitteln. Bei 0 Grad sowie 30 Grad. Wir fielen uns einfach nur noch gegenseitig in die Arme. Lachten, weinten; das ganze Gefühlschaos auf einmal eben. Freunde empfingen uns mit Bier und Wein und wir erlebten den letzten Abend am Fischmarkt glückselig mit anderen Rallyeteams, die wie Familie für uns geworden waren. Wir jubelten und klatschten bei der Siegerehrung für die Teams, die auf das Treppchen steigen durften. Jedes Team hätte den Sieg verdient, denn am Ende sind wir alle Gewinner gewesen. Der Weg war das Ziel. Den Zusammenhalt und die Begeisterung für das größte Abenteuer überhaupt zu spüren.

Dieser Zusammenhalt ist einfach einzigartig und eben das verbindet alle rallyeverrückten Menschen. So richtig nachvollziehen kann man das erst dann, wenn man selbst eine Rallye bestreitet. Uns hatte das Fieber definitiv in seinen Bann gezogen und dies sollte nicht unsere erste und einzige Rallye bleiben. Um für uns persönlich und als Freundinnen einen gebührenden Abschied von den letzten 16 Tage zusammen auf Rallye durch den Norden Europas zu verabschieden, verfassten wir noch eine Flaschenpost über die Erlebnisse und Gefühle der letzten 16 Tage und warfen sie Arm in Arm in die Elbe.

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Über die Nordfriesenmädchen:

Wir sind Anne und Esther. Beste Freundinnen seit 2007 und für immer. Ist ja klar. Wir kennen uns aus der Schule, sind Inselkinder von Sylt und an der Küste aufgewachsen. Heute leben wir beide in Hamburg, nutzen jedes freie Wochenende, um in die Natur zu entfliehen, cruisen zu den schönsten Ecken Norddeutschlands und gehen manchmal mit Absicht verloren, um noch schönere zu finden. Wir lieben Roadtrips, wir lieben Abenteuer, die Natur, das Ungewisse und neue Herausforderungen. Und das wichtigste: Wir lieben uns und das alles gemeinsam zu erleben.

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