Bericht
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Unser Abenteuer beim Roadtrip durch den Norden Europas geht in die zweite Etappe. Wir haben Dänemark und Schweden hinter uns gelassen und bereits ein gutes Stück Norwegen durchquert.
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LOFOTEN (Norwegen)
Nach 3 Stunden wachten wir durch ein lautes dröhnendes Geräusch auf. Sofort liefen wir an Deck, um die ersten Eindrücke der Lofoten aufzusaugen. Es war 6 Uhr morgens und die Wolkendecke hing noch tief in den Gebirgsketten. Die Luft war rau und kühl, doch konnte man schon einen Blick auf die ersten roten Fischerhäuschen erhaschen, die über dem Wasser ragten. Diese Bilder, die man nur von Fotos kennt, und jetzt ist man selbst hier. Unwirklich!
Noch recht verschlafen fuhren wir nach Reine und stellten uns für einen letzten Powernap an eine kleine Bucht. Als wir nach zwei Stunden wieder aufwachten, brühten wir uns einen frischen Kaffee auf und zogen uns kuschelige Klamotten an. Wir schauten auf eine Bucht mit einem spitzen Berg dahinter aufragend, den man von vielen touristischen Magazinen über die Lofoten kannte, den Reinebringen. Davor schlief das kleine Dorf mit gerade einmal 300 Einwohnern, Reine. Es ist bekannt als eines der schönsten Dörfer auf den Lofoten und hat besonders viele der charakteristischen roten Fischerhütten („Rorbuer“), die zur Hälfte auf Stelzen stehend ins Meer ragen. Neben uns hingen tausende Fische, auch Skrei oder Stockfisch genannt, zum Austrocknen an hölzernen Dreieckskonstruktionen, unter denen man durchlaufen konnte. Hob man den Kopf, konnte man direkt in die aufgerissenen Mäuler der norwegischen Delikatesse schauen. Der Geruch war neuartig, nicht besonders schön, aber irgendwie doch.
Wir genossen unseren Kaffee mit Blick auf diese einmalige Szenerie und planten unseren Wandertrip. Unser Ziel: der Kvalvika Beach. Einer der schönsten Strände der Lofoten, umhüllt von schroffen dunklen Felsen. Der Wanderweg war steinig und steil, doch wir wussten, dass sich der Blick lohnen würde und kletterten hoch. Wieder schlich sich ein Gefühl von Ehrfurcht ein. Diese riesigen dunkelgrauen Felswände zu unseren Seiten schienen sich fast zu bewegen und die Felsen, die wir hochkletterten, waren teilweise größer als wir selbst.
Nach etwa 30 Minuten erreichten wir die Spitze des Wanderweges und hielten inne. Wir blickten auf eine Bucht mit weißem Sand und türkisblauem Meer, halb umrundet von dunklen und massiven Bergen, die steil und gewagt auf den friedlichen Strand ragten. Als wir die sanfte Brandung erreichten und mit nackten Füßen im weichen kalten Sand standen, fühlten wir uns unglaublich gut und zugleich ganz klein. Wir hatten das Glück an diesem wunderbaren Fleckchen Erde zu stehen. Die Natur war atemberaubend und nahezu unangetastet.
Wir sagen nahezu, weil wir auch hier mit Bedauern sehen mussten, wie viel Plastik durch das Meer an den Strand gespült wird. Es gab eine große Sammelstelle, auf die wir auch noch weitere Plastikgegenstände legten. So wurde dieser schöne Moment am Strand von Kvalvika auch ein Moment von Betroffenheit. Einen Ort wie diesen, so abgelegen und außergewöhnlich, voller Müll zu sehen, traf uns sehr. Und wir waren uns einmal mehr sicher, während der Rallye für die richtigen Organisationen Spenden zu sammeln: die Plastik Crew Sylt, die sich für eine saubere, plastikfreie Insel einsetzt, über die Plastikfluten aufmerksam macht und Alternativen zur Plastikvermeidung aufzeigt; und DEEPWAVE e.V. - die Meeresschutzorganisation, die sich besonders für den Schutz der Meeresbewohner einsetzt.
Wir machten einen kleinen Spaziergang durch den hellen Sand, spürten das Polarwasser an unseren Füßen und sprachen über die zwei Surfer, die an diesem Strand mehrere Monate überwinterten. Sie bauten sich eine kleine Hütte aus Holz und Steinen auf einer Erhöhung in der Nähe der großen Felsen. Wir fanden die Hütte, deren Eingang von einer massiven runden Holzplatte geschützt wurde. Der Innenraum war eher höhlenartig, zusammengeschustert aus allem, was Mutter Natur in dieser Gegend hergab, oder was vom Wind und Meer ans Land gespült wurde. In der etwa 4 Quadratmeter großen „Hytta“, wie sie sie selbst nannten, waren hunderte Verewigungen von „Pilgern“, die von dem mutigen Ausstieg der beiden jungen Männer beeindruckt und inspiriert waren. Es lag noch alles genauso da, wie sie es verlassen haben. Stifte, Bilder, Erinnerungen, Dosen mit Essen, Briefe, selbst ein T-Shirt hing noch über dem kleinen Ofen mit Schornstein. Es war beeindruckend, mit wie viel Ehrfurcht und Respekt dieser Ort behandelt wird. Am liebsten hätten wir jede kleine Botschaft gelesen und jeden kleinen Gegenstand unter die Lupe genommen. Man kann sich kaum vorstellen, wie viel Nippes und Text in einem so kleinen Raum über die Jahre zusammenkommen. Fast so, als würden immer noch Menschen darin wohnen.
Wir machten uns auf den Rückweg, um noch weitere Orte der Lofoten zu erkunden. Am liebsten hätten wir jeden einzelnen Stein, Sandkorn, Grashalm und Stockfisch dieser Insel kennengelernt, aber es blieben uns nur etwa 40 Stunden, um den Ort zu sehen, der womöglich der schönste Ort auf der gesamten Rallye für uns war. So war unser nächstes Ziel der Haukland Beach. Wieder ein Strand, der wie eine Bucht von Bergen umhüllt war. Wir liefen zuerst durch einen Mix aus Sand und Gras, stiegen über mehrere Schafe und erfreuten uns über Lämmer, bevor wir auf große, weiche, helle abgerundete Steine sprangen, die sich über die gesamte Bucht erstreckten. Das türkisblaue Wasser peitschte gegen diese einzigartigen Felsformationen und riss uns teilweise mit. Wir klettern gerne auf Felsen hinauf, die dann von Wellen erfasst werden und wundern uns hinterher, warum unsere Füße und Beine ständig nass sind.
Das Licht war hell, die Wolken waren weiß. Die Meeresbrise war frisch und klar. Wir hätten am liebsten noch Stunden hier verweilt. Doch der Plan war ein anderer. Während der Rallye um die Ostsee gibt es zwei große Veranstaltungen, bei denen sich alle Rallye Fahrer treffen, trinken und feiern. Die erste war in Hov, ein Ort nördlich auf den Lofoten. Es war der 19. Juni, kurz vor Mittsommer. Wir blickten über einen kleinen hellen Strand bis an den Horizont, über dem die Sonne die ganze Nacht lang zu sehen sein sollte. Wir grillten gemeinsam, spielten Wikingerspiele und schwitzen in der Sauna. Gegen 23 Uhr wurde zum Nachtbaden geladen. Alle, die mutig oder verrückt genug waren, sollten in das 10°C kalte Polarmeer springen. Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und reihten uns ein. Als alle in Richtung Wasser liefen, wurden unsere Körper von Adrenalin und einer animalischen Macht befallen. Wir brüllten, rannten und stürzten uns ins kalte Nass. Das Meer war so kalt, dass es weh tat, doch unsere Körper wollten mehr und wir sprangen noch ein zweites Mal hinein. Danach wärmten wir uns am riesigen Lagerfeuer. Wir waren vom Scheitel bis zu den Fußspitzen euphorisiert. Das ist Leben! So soll es sein. So fühlt es sich an!
Um 24 Uhr haben wir gemeinsam mit anderen Rallyefreunden in Esthers Geburtstag herein gefeiert. Die Stimmung war ausgelassen und entspannt. In dicke Klamotten gehüllt, prosteten wir uns am Lagerfeuer zu und genossen den Abend im kühlen Sonnenlicht. Was für eine wundervolle Nacht!
Am nächsten Morgen ging die Fahrt durch die norwegische Postkartenlandschaft weiter. Wir fuhren auf die kleine Insel Henningsvaer, ein kleines Fischerdörfchen mit dem wohl berühmtesten Fußballplatz der Welt. Denn er passt genau auf eine kleine Halbinsel und sieht besonders aus der Luft skurril und unwirklich aus.
Wir schossen ein paar Bälle ins Tor und hatten damit die Challenge des Tages erledigt. Weiter gen Norden Richtung Tromsö führten uns die Serpentinen wieder einmal durch eine sagenhaft schöne Natur. Die Berge wurden immer höher, die Fjorde immer weiter, die Luft immer kühler und die Sonne immer heller.
Auf einer einsamen Straße irgendwo in der Wildnis von Nord-Norwegen mussten wir anhalten und auf einen Parkplatz fahren. Die Schönheit, die sich dort vor uns erstreckte, war kaum auszuhalten. Ein riesiger See blitzte in tausenden Blautönen und dehnte sich bis zum Horizont aus, an dem sich eine beeindruckende Bergkette aufbaute. Die Szenerie wird auch als subarktische Wildnis bezeichnet, und erstreckt sich durch den ganzen Norden von Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Es ist die Heimat der nordeuropäischen Ureinwohner: die Sami. Ihre Heimat nennt sich Lappland. Die einstigen Nomadenvölker besitzen auch heute noch häufig Rentierherden und leben in ihren Jahrhunderte alten Bräuchen. Die Sámi sind ein indigenes Volk, das früher „Lappen“ genannt wurde und bedeutet so viel wie „Sumpfleute“. Die Sami Bevölkerung macht nur etwa 4% der Gesamtbevölkerung aus und wird daher als Minderheit bezeichnet.
Wir hielten an einigen kleinen Sami-Souvenirläden, tranken frischen Kaffee, der in einem Zelt überoffenem Feuer gebrüht wurde, und kauften uns kleine Andenken. Allein um diese Kultur noch mehr zu ergründen, würden wir gerne wiederkommen und in einem der Sami Dörfer leben.
Je nördlicher wir kamen, desto kühler wurde es. Dennoch wollten wir weiterhin wildcampen und suchten mit einem befreundeten Team den nächsten Spot für die heutige Nacht. Wir hörten von den Lyngenalpen, die sich kurz hinter Tromsö an den vielen Fjorden erstrecken und atemberaubend schön sein sollten. Wir fuhren über Schotterpisten und abgelegenen Wegen auf ein Feld direkt am Meer, auf dem Stockfisch getrocknet wurde. Der Anblick, der sich uns dann eröffnete, ist eigentlich unbeschreiblich. Die derzeitige Ebbe lies vereinzelt große Felsen aus dem Polarmeer ragen. Die Sonne blitzte hinter den Bergkuppen der Lyngenalpen hervor. Wir waren umrundet von diesen wunderschönen weißen Giganten. Nur dort, wo die Sonne während der Nacht über den Horizont gleiten würde, öffnete sich die Bergkette und der Horizont wurde sichtbar. Das Licht war golden, die Natur spiegelte sich verschwommen in der ruhigen Ebbe des Polarmeeres, die herausragenden feuchten Felsen glitzerten im Sonnenlicht und das Dünengras am Ufer färbte sich goldgelb. In der steinigen Bucht schaukelte ein kleines Ruderboot, diesmal leider befestigt, so dass wir keine Möglichkeit hatten, wieder aufs Gewässer hinaus zu schippern.
Anne bereitete wieder einmal ein Abendmahl der Extraklasse in unserer kleinen Van Küche vor, während wir die Szenerie mit Tischen, Stühlen, Decken, Fackeln und Kerzen schmückten. Wir verweilten wahrscheinlich acht Stunden hier und gingen erst früh morgens zu Bett. Wenn die Sonne nicht mehr untergeht, ist auch der Schlaf nicht mehr so wichtig. Wenn es nur immer so sein könnte.
Das Ziel unseres nächsten Tages war das Nordkap, der nördlichste Punkt Europas. Wir ahnten noch nicht, was für Strapazen dieses Vorhaben mit sich bringen würde. Aber wir fangen von vorne an. Unsere Route führte uns durch die Stadt Alta, die dafür bekannt ist, dass man hier im Winter besonders viele Nordlichter sehen könne. Wir fuhren an einem Schild vorbei, das uns an Höhlenmalerei erinnerte und landeten nach ein paar weiteren Schildern in einem Museum. Am Ende des Altafjordes wurden hier Malereien aus der Steinzeit gefunden, die bis vor kurzem noch von dem Wasser verdeckt waren. Da wir beide so etwas noch nie gesehen haben, entschlossen wir, diesen kulturellen Kurztrip mitzunehmen. Die Malereien zeigten Tiere wie Bären, Elche und Wale, Menschen und Boote, die schon den Wikingerbooten gleichkamen. Die Höhlenmalereien sollen 170.000 Jahre alt sein. Im wahrsten Sinne des Wortes war dieser Trip „kurz“, denn wir hatten noch eine ordentliche Etappe vor uns.
Die Straßen wurden immer leerer, die Natur immer kahler, bergiger und rauer. Wir erreichten die Tundra. Um genauer zu sein: die subpolare Bergtundra. Wenn wir uns während der gesamten Reise immer wieder über Rentiere gefreut haben, erreichten wir hier das Rentierparadies. Die Herden waren einfach überall. Auf der Straße, in den Wäldern, an den Seen. Ganze Familien und von weiß bis dunkelgrau, mit und ohne Geweihe. Es war einfach beeindruckend. Der Norden hat uns mit all seinen wilden Seiten in einen Bann gezogen, aus dem wir nicht mehr herauswollten. Unser Aufstieg auf Rädern zum Nordkap begann.
NORDKAP (Norwegen)
Nach einem 7.000 Meter langen Tunnel, der 200 Meter in die Tiefe ging und sich spürbar auf unser körperliches Wohlbefinden auswirkte, waren wir auf der kleinen Insel Margeroya angekommen. Wir fuhren eine steinige Felsküste entlang. Vor uns und am Horizont türmten sich massive dunkle Steilküsten. Die würden wir also auch noch hochfahren. Unsere Köpfe fühlte sich bereits jetzt wie Wackelpudding an. Eventuell war es der Breitengrad, die Nähe zum Nordpol, das ewige Hoch und Runter und Kurven fahren. Ein Glück fuhren wir die meiste Zeit mit anderen Rallyeteilnehmern in Kolonne und konnten uns so mental gegenseitig anschieben. Außerdem entschädigte die Natur mal wieder für alle Strapazen.
Wir bewunderten die Menschen, die an diesem wilden Ort der Erde ihr zu Hause haben. Es ist das ganze Jahr über kahl, windig und kalt. Und trotzdem wunderschön. Aber hier leben? Im Nichts? Im Sommer geht die Sonne drei Monate nicht unter. Im Winter geht sie drei Monate nicht auf. Es gibt keine Bäume oder Pflanzen. Lediglich die wilde und unberührte Fauna der Tundra, gelbes Dünengras und schroffe, kantige Felsen, die sich durch die unendlichen Weiten der Nordkapregion erstrecken. Je höher wir kamen, desto mehr verbreitete sich dieses bekannte Gefühl der Ehrfurcht wieder in uns aus. Die Szenerie kam einer Mondlandschaft gleich. Unberührt, einsam und endlos auf der einen Seite. Zur anderen Seite hatten wir einen einzigartigen Ausblick über die Täler und unsere bisherige Route, die sich in Serpentinen durch die Berge windete.
Mit etwa 30 km/h tuckerten wir mit 20 anderen Rallyeautos die kurvigen und steilen Straßen zum Nordkap hinauf. Auch wenn der ein oder andere eventuell schneller gewesen wäre, stand hier der Zusammenhalt ganz weit oben. Das Rallyegefühl ist wirklich nur schwer zu beschreiben. Wenn man in Mitten dieser vollgeklebten Autos die nördlichste Straße Europas hochfährt, in den Rückspiegel schaut und die glücklichen Gesichter in den Autos sieht, im Hintergrund eine Naturgewalt, die alle begeistert, hin zum gemeinsamen Ziel: Die Weltkugel am Nordkap. Das ist wirklich einmalig.
Als wir oben ankamen, konnten wir erst einmal nicht aussteigen. Unsere Körper fühlten sich nicht mehr wie Körper an. Wir zitterten und konnten kaum denken. Die Begebenheiten und das Autofahren hatten uns ziemlich zugesetzt. Aber auch hier haben wir uns unterstützt, ließen dem anderen Zeit und fragten uns, was uns jetzt guttun würde. Die Antwort: Kaffee und Essen. Und so gingen wir erst einmal in das kleine Café in der Nordkap Station, setzten uns ans Fenster, aßen ein sehr leckeres Lachssandwich und beobachteten unsere Rallyefreunde an der Weltkugel. Alle hatten sich etwas überlegt, um ein schönes Gruppenfoto zu schießen. Es gab die Jungs in Lederhosen, in Kutten, in Anzügen und mit Länderflaggen. So saßen wir verträumt mit dem nördlichsten Kaffee in der Hand, den wir jemals trinken würden, und überlegten verschlafen, was wir tun könnten.
Anne: „Lass uns unsere Anzüge anziehen und an der Kugel ausziehen, nur Bikinis drunter. Das hat noch nie jemand gemacht“. Nach kurzen Zweifeln, aber mit der Wirkung des letzten Satzes, willigte Esther ein. Wie könnten wir auch besser unsere nordfriesischen Vorsätze und Bräuche beweisen, wenn wir uns nicht am windigsten und kältesten Ort der Erde einfach mal ausziehen würden.
Vor lauter Aufregung waren wir natürlich wieder hellwach, liefen zum Auto, zogen uns in der Eiseskälte um und machten uns auf den Weg zur Kugel. Wir fragten ein Rallyeteam, ob sie einfach mit der Kamera draufhalten könnten, denn es würde jetzt etwas passieren, aber wir sagten nicht was. Verdutzt willigten sie ein. Der Moment war gekommen. Zuerst posten wir in Army-Manier, bis wir uns das Zeichen gaben und unsere Anzüge auszogen. Hoch die Hände, kurz erfrieren, nett lächeln, und wieder runter gehüpft. Eine Mischung aus Lachen und Raunen ging durch die Menge. Zurück in den Anzügen wurde uns wonnig warm und wir verweilten noch einen Augenblick an der steilen Küste und philosophierten darüber, was ab hier noch nördlicher lag und wie wunderschön unsere Erde ist.
Uns war natürlich bewusst, dass wir mit dieser Aktion dem Rallyeaffen Zucker geben würden. Aber für uns war einfach nur wichtig, dass wir den Moment leben und etwas Verrücktes tun, das wir niemals vergessen würden. Und das ist passiert. Für uns! Und ein Foto für die Ewigkeit. Es war etwa 23 Uhr nachts, die Sonne stand immer noch direkt über uns. Dennoch war es dort oben so eisig kalt, dass wir uns in unsere Schlafsäcke hüllten und versuchten im Auto aufzuwärmen. Wir wussten nicht, wie und wo wir schlafen sollten. Das Wetter war so ungebändigt wild und der starke Wind lies das Auto hin und her wackeln. Wir waren ratlos. Das erste Mal auf der Rallye waren wir absolut ratlos. Wir fühlten uns beide nicht mehr fit genug, um den ganzen Weg herunter zu fahren. Dafür waren die Wetterverhältnisse und die Straßen zu extrem. Da es nicht ungemütlicher werden konnte, beschlossen wir, dennoch ein paar Meter herunter zu fahren und einfach mal zu schauen. Wie sich herausstellte, war das die beste Entscheidung der gesamten Rallye.
Nur eine Fahrtzeit von 3 Minuten führte uns an eine kleine Lichtung am Straßenrand. Hier stand das Team Longship, zwei Dänen mit einem Lada, die dafür bekannt waren, jede Nacht der Rallye komplett unter freiem Himmel zu schlafen. Wir sahen, wie sie ihr Schlaflager in der großen Senke neben der Straße aufbauten, machten eine Vollbremsung und fragten, ob wir uns dazu gesellen konnten. Natürlich!
Wir nahmen unsere Schlafsäcke und legten uns einfach in das wilde Gras.
In der Senke war es absolut windstill und die Sonne hüllte unseren Schlafplatz die ganze Nacht in goldenes Licht. Wir schauten in die wilde Natur der Tundra und schliefen ein, während wir Rentierherden in den Bergen vor uns beobachteten.
Es war der 21. Juni, Mittsommernacht. Wir schliefen unter freiem Himmel. Am Nordkap. Es war die schönste Nacht unseres Lebens und ein unvergessliches Erlebnis.
Um 4 Uhr in der Früh machte Esther Kaffee, während Anne sich aus ihrem Schlafsack befreite. Die Nacht war zwar kurz, aber die Reise ist lang. Macht das Sinn? Hier hat nichts mehr viel Sinn gemacht, aber das gehört wohl auch zu einer Rallye dazu. Mit der Zeit wird alles relativ und man wird ein bisschen verrückt. Spontanität ist alles, was zählt. Das Leben, leben. Den Moment genießen. Dinge nehmen, wie sie kommen. Hier versteht man, was das bedeutet.
Unser heutiges Ziel war Finnland. Aber zuerst mussten wir diesen strapaziösen Weg voller Höhen und Tiefen, Serpentinen und Tunneln wieder hinter uns bringen. Wie schon des Öfteren erwähnt, entschädigte uns die Natur immer wieder, und in diesem Fall erfüllte sie sogar einen Lebenstraum von Anne. Wir waren bereits fast eins mit dem Meeresspiegel, zur Rechten erhob sich eine massive Felsmauer, zur Linken das wilde Polarmeer, als Anne eine Vollbremsung machte und so die Rallyeautos hinter uns ebenfalls zum Ausweichen und Bremsen brachte. Aus gutem Grund: Auf einem Felsen am Wasser thronte ein Seeadler. Wir sprangen raus und bewegten uns vorsichtig zur Küste. Es war ein Jungvogel, und dennoch immens groß, als er zum Flug ansetzte und die breiten Flügel auseinanderschlug. Verfolgt von Möwen, bahnte er sich seinen Flugweg durch die Lüfte und verschwand irgendwann. Danke Natur, dass du uns diesen Moment beschert hast. Wie viele Glücksmomente können wir eigentlich noch ertragen?
Kurz vor der Grenze zu Finnland holten wir unsere Lieblings-Boys ein, dass Garage Marienthal Team, und baten um Obhut, da das Wetter ab hier absolut nicht mehr zum Wildcampen einlud. Es regnete wie aus Eimern und sollte nicht mehr aufhören. Was tut man da? Richtig: Man gönnt sich eine typisch finnische Holzhütte mit Sauna mitten im Wald.
FINNLAND
Kilometerlange einsame Straßen an deren Seiten sich endlose Nadelwälder reihten. Weit und breit keine Häuser und keine Menschenseele. Wir waren in Finnland, oder Lappi, Lappland Finnland. Die Fahrt durch das nasse Grau war ermüdend, und so hielten wir uns über Funk mit der Garage Marienthal bei Laune, indem wir uns Witze erzählten und so taten, als wüssten wir extrem viel über die Geschichte und Bevölkerung Finnlands.
Wir fuhren einmal quer durch das Land bis kurz vor den Grenzübergang nach Russland, Raja-Jooseppi. Den Schlüssel für die Hütte holten wir in einer nahegelegenen „Mall“ ab. Hier sahen wir auch wieder das erste Mal Menschen. Die meisten hatten typische Sami-Züge: dunkles Haar, mandelförmige Augen, markante Gesichtszüge, blasse Haut. Eine ganz besondere Exotik im hohen Norden.
Unsere Hütte lag mitten in einem versteckten Wald. Wir verliebten uns alle auf den ersten Blick. Komplett aus Holz, mit eigenem See und einer Veranda, von der aus man den kleinen See in dem verträumten, eingeregneten Wald betrachten konnte. Es gab zwei Saunen und einen Kamin. Diese Hütte im Wald von Finnland war der Inbegriff der unendlichen Gemütlichkeit. Und um ehrlich zu sein auch bitter nötig, nachdem wir die letzten drei Nächte in der arktischen Wildnis verbracht haben.
Während Anne sich wieder mit dem Abendessen für sieben hungrige Mäuler beschäftigte, heizten die anderen Sauna und Kamin ein oder verweilten bei ein, zwei, drei Gläschen Rotwein auf der Veranda und schauten den Regen dabei zu, wie er kleine runde Kreise auf den stillen See malte.
Wir alle spürten die Strapazen der letzten Tage und waren sehr dankbar für dieses luxuriöse Spa-Gefühl. Wir nutzten die Zeit für Saunagänge, kühlten uns im eiskalten See ab, mixten Drinks und wärmten uns am Kamin. Die Nacht wurde ausgelassen und lang. Irgendwann saßen wir alle im Wohnzimmer und sangen verträumt und voller Emotionen „Wonderwall“ von Oasis. Ja, unendlich kitschig, aber auch unendlich schön. Wir dachten alle kurz darüber nach, die Rallye abzubrechen und einfach für immer hier zu bleiben.
Am nächsten Morgen sind wir alle mit einem Schrecken aufgewacht. Wir hatten bis elf Uhr geschlafen! Um elf Uhr sollten wir eigentlich auch schon die Unterkunft verlassen haben. Um elf Uhr wollten wir eigentlich auch schon an der Grenze zu Russland stehen, denn man warnte uns mehrfach vor der stundenlangen Wartezeit. Unsere Körper haben sich einfach die Erholung geholt, die sie brauchten. Man spürt es selbst kaum, da man durchgehend von Endorphinen und Adrenalin durchspült wird. Doch kam man zur Ruhe, merkte ein jeder, wie sehr einem die letzten Tage in den Knochen steckten.
Wir brachten den Schlüssel zurück in die einzige Mall im Umkreis von gefühlten 500 Kilometern und machten uns auf den Weg an die russische Grenze. Über eine Offroadpiste durch den Wald rollten unsere drei Autos durch den Sonnenschein von Finnland. Überall waren wieder Rentierfamilien, die besonders an den Wasserläufen verweilten und ein traumhaftes Bild entstehen ließen.
Tatsächlich stieg die Nervosität bezüglich der russischen Grenze und einem so unbekannten Land, in dem wir noch nicht einmal die Sprache oder Schrift verstehen würden. Aber gerade das machte es auch so spannend.
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